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Zähneknirschen: doch keine Frage von Stress?

Zähneknirschen: doch keine Frage von Stress?

Will ein Schriftsteller jemanden beschreiben, der wütend ist und kurz vorm Explodieren steht, lässt er seine Figur gerne mal mit den Zähnen knirschen. Und es scheint klar: Wer den Druck, unter dem er steht, nicht abreagieren kann, knirscht mit den Zähnen.

Mit dem Begriff Zähneknirschen (Bruxismus) wird landläufig das unbewusste, meist nächtliche Knirschen mit den Zähnen verbunden. Die häufigste Ursache, so glaubt man, sei emotionaler Stress, welcher in der Nacht verarbeitet werde – Zähneknirschen gilt quasi als störende Begleitmusik der Aufarbeitung.

In dieser Auffassung stecken gleich zwei Irrtümer:

  1. Es ist nicht unbedingt Stress, der uns mit den Zähnen knirschen lässt.
  2. Von wegen „meist nächtlich“: Zähneknirschen tritt tagsüber genauso häufig auf!

Schlafbruxismus = Lebensrettung?

Mit den Zähnen knirschen Menschen am Tag und in der Nacht – bewusst oder unbewusst. Wenn Körperfunktionen an einen Rhythmus gekoppelt sind, spricht man von zirkadianer Manifestationder inneren Uhr.

Ungefähr jeder Fünfte, so schätzen offizielle Stellen*, knirscht mit den Zähnen, aber nur ganz wenige davon tun es im Schlaf: Unter Schlafbroxismus leiden etwa 14 bis 18 Prozent der Kinder, maximal 6 Prozent der Erwachsenen und nur 3 Prozent der über 60-Jährigen. Mit anderen Worten: Je älter man wird, desto stärker sinkt die Wahrscheinlichkeit des nächtlichen Zähneknirschens.

Eine interessante Interpretation für die größere Häufigkeit bei Kindern lässt sich mit aller Vorsicht aus einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) ableiten. Dort heißt es,

… dass Bruxismus während des Schlafes auch eine physiologische Komponente zur Sicherung geöffneter Atemwege darstellt.

Ein starrer, fest zusammengepresster Mundraum verhindert also den Erstickungstod. Das ist aus dem Blickwinkel der „Natur“ bei jungen Artgenossen natürlich wichtiger als bei älteren, die für den Fortbestand der Art nicht mehr viel beitragen.

Wachbruxismus = stressbedingt?

Wenn jemand tagsüber bzw. im wachen Zustand mit den Zähnen knirscht, so steckt dahinter in den meisten Fällen eine Belastung durch Stress. Noch einmal die DGFDT:

Insbesondere für Wachbruxismus werden Zusammenhänge mit sozialem Stress (z. B. Belastungen im familiären Bereich, am Arbeitsplatz) beschrieben.

Andere Ursachen für das Zähneknirschen

Aber auch ein schlecht sitzender Zahnersatz kommt als Ursache für nächtliches Zähneknirschen in Frage; Zahnfüllungen stehen im Verdacht, Fehlregulationen am Kiefergelenk (Craniomandibuläre Dysfunktion: CMD) oder neurologische Erkrankungen (zum Beispiel Multiple Sklerose).

Aktuelle Studien haben noch eine Ursache ausfindig gemacht: Der Hirnstamm gilt als Initiator des nächtlichen Zähneknirschens, das auch als rhythmische Kaumuskelaktivität bezeichnet wird („rhythmic masticatory muscle activity“ – RMMA).

Diese RMMAs ereignen sich vor allem am Übergang zu unterschiedlichen Schlafstadien. Die Forscher überlegen, ob die Kaumuskelaktivität eine Art Weckreaktion des Körpers ist. Schlafbedingte Atmungsstörungen wie das Schnarchen oder gar die obstruktive Schlafapnoe gelten potentiell als lebensgefährlich – durch das Zähneknirschen sendet der Hirnstamm das möglicherweise lebensrettende Signal: „Aufwachen!“

Bei dieser Fülle möglicher Ursachen und Auslöser ist eine einfache monokausale Therapie schwer bis aussichtslos: Zähneknirschen erweist sich als ein komplexes Geschehen.

Zähneknirschen bleibt oft lange Zeit unentdeckt

Wer unter Bruxismus, also dem Zähneknirschen, leidet, weiß möglicherweise gar nichts von der Anspannung in der Nacht. Man erwacht am nächsten Morgen, ist verspannt, unausgeschlafen und reichlich zerschlagen und führt das erst einmal nicht aufs Zähneknirschen zurück, sondern auf eine unruhige Nacht.

Meist ist es der Partner, der darauf aufmerksam macht, denn das Zähneknirschen kann enorm laut sein. Spätestens jetzt ist es ratsam, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Als wichtigste Maßnahme gilt die Behandlung durch den Zahnarzt. Er repariert die möglichen Folgen intensiven Zähneknirschens: abgetragene Zahnsubstanz, Zerstörung von Kronen oder anderen zahnärztlichen Restaurationen.

Wie kann Zähneknirschen therapiert werden?

Kieferorthopäden raten zu Okklusionsschienen

Diese „Aufbissschienen“ gelten in der Sprache der Mediziner als palliativ, nicht als kurativ: Sie reduzieren die Folgen, heilen aber nicht.

Biofeedbackverfahren

Mit Biofeedbackverfahren wird dem Bewusstsein zugänglich gemacht, was ihm normalerweise verborgen bleibt. Das scheint beim Bruxismus sehr gut zu helfen, die Wirkung verebbt nur bald nach Absetzen der Therapie.

Verhaltenstherapie

Ebenfalls ungeklärt ist der Wert einer Verhaltenstherapie bzw. von psychologischen Beratungen. Ob sie dauerhaft helfen können, ist umstritten.

Muskelrelaxantien

Seit Anfang des neuen Jahrtausends bekämpfen einige Zahnärzte den Bruxismus mit Muskelrelaxantien wie Clonazepam (kommt auch bei Epilepsie zum Einsatz) und einem bakteriellen Gift, das man aus der medizinischen Kosmetik kennt: mit Botox (Botulinumtoxin). Beide zeigen positive Effekte, müssen aber mit besonderer Vorsicht gewählt werden: Die unerwünschten Wirkungen können gravierend sein.

Botox ist von den Krankenkassen nicht anerkannt; wenn Zahnärzte das Mittel verwenden, spricht man von einem Off-Label-Use, einem Gebrauch außerhalb des anerkannten Therapiespektrums. Geht etwas schief bei der Behandlung mit Botox im Off-Label-Einsatz, haftet der behandelnden Arzt.

Homöopathie

Eine homöopathisch orientierte Therapie wird sich an der Behandlung von Stress orientieren.

Zähneknirschen aus Sicht der TCM

Kennzeichnend für die Anspannung im Bereich der Kiefermuskulatur ist eine Überaktivität von Leberenergie, die durch den Funktionskreis der Gallenblase gebändigt wird. Unterdrückte Emotionen und innerer Druck äußern sich im Aufeinanderpressen der Kiefer und führen zu den Verhärtungen im hinteren Kieferbereich sowie der Nacken- und Schultermuskulatur. Akupunkturnadeln entspannen diesen Bereich und heben den Energielevel. Sie wirken gezielt auf die beiden Funktionskreise von Leber und Galle und regulieren deren Aktivität. Der Patient sollte zudem seine Lebensführung überdenken und darauf achten, Stress zu reduzieren.

Links und Quellen

Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie

* Klasser GD, Greene CS, Lavigne GJ. Oral appliances and the management of sleep bruxism in adults: a century of clinical applications and search for mechanisms. Int J Prosthodont. 2010;23:453-462.

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