
Eisblut, Robots, Farbenklang – die Zukunft hat längst begonnen

„Opfer müssen gebracht werden“, sollen Otto Lilienthals letzte Worte gewesen sein. Kaum anzunehmen, dass der Flugpionier (er hatte sich beim Absturz seines Fluggleiters Halswirbel gebrochen) dabei an Tierversuche gedacht hat. Realität aber ist: Tiere sind Opfer, und der Tier„versuch“ bleibt manchmal die einzige Möglichkeit. So pervers das im Einzelfall scheinen mag.
Gefrierschrank. Blut gegen Kältelösung
Sollen Lebensmittel länger frisch bleiben, werden sie ins Kühl- oder Gefrierfach gelegt. Dieser einfache Zusammenhang ist manchem Science-Fiction-Autor der Ausgangspunkt utopischer Ideen. Sie versetzen Menschen in den künstlichen, gekühlten Tiefschlaf, um ungeheuer ferne Planeten zu erkunden – erfrischt, ausgeruht und unberührt von der psychischen Belastung, die die Reise durchs All bedeutet. Eine andere Vorstellung hofft auf die Wunder der Zukunft: Wer unheilbar krank ist, wird eingeschläfert und solange tiefgefroren aufbewahrt, bis ein Heilmittel ein „neues“ Leben schenkt.
Auf diesen Spuren, dem Einschläfern, wandeln Peter Rhee von der University of Arizona in Tucson und Samuel Tisherman von der University of Maryland. Sie haben Schweine narkotisiert bis hin ins Koma und deren Blut ausgetauscht gegen eine Kochsalzlösung.
Die Flüssigkeit war zwei Grad Celsius kalt und senkte die Körpertemperatur der Schweine innerhalb von drei Minuten auf zehn Grad, eine Temperatur, bei der ein Mensch längst zuvor gestorben wäre. (Bei einigen schweren Traumata wird die Temperatur von Menschen schon heute künstlich auf 28 Grad gesenkt, um die Überlebenschancen zu erhöhen.)
Die Schweine jedenfalls „starben“. Kein Herzschlag war mehr nachzuweisen, kein Ausschlag auf dem EEG zu sehen, dem Elektroenzephalogramm, das die Arbeit des Gehirns anzeigt, kein Atemzug. Aber waren die Schweine wirklich tot?
Tisherman: „Wenn ein Organismus so stark heruntergekühlt ist, würde wohl jeder sagen: Das Lebewesen ist tot.“
Mehrere Stunden vergingen. Die Tiere waren tot im landläufigen Sinne; vielleicht träumten sie, wer weiß.
Dann füllten die beiden Forscher die Arterien und Venen der Tiere mit deren Blut. Langsam musste das geschehen, ganz langsam: Das Auftauen kann genauso gefährlich sein wie das Absenken der Temperatur. Und plötzlich piepsten die Elektroden, zitterten die Seismographen – die Herzen hatten wieder zu schlagen begonnen!
Den Tod in den Griff bekommen?
„Suspended animation“ – verzögerte Belebung nennen Wissenschaftler diesen Vorgang. Tisherman will die Methode nun an Menschen anwenden. Zehn Patienten mit schweren Verletzungen will er tiefkühlen, damit die Chirurgen mehr Zeit haben für die Wundversorgung; Tishermann ist Leiter vom Shock trauma center an seiner Universität, er wird kaum Mangel haben an „Material“ für seine Untersuchungen, die er selbst „Studie“ nennt. Um über den Erfolg der Methode urteilen zu können, wird es eine Kontrollgruppe von ebenfalls zehn Verletzten geben mit ähnlichen oder gleichen Wunden. Es stellen sich Fragen.
Militärische Nutzung geplant?
Frühere Berichte über Versuche an Schweinen lassen den Verdacht zu, dass es sich um Forschungen handelt im Dunstkreis des Militärs. Ihre menschenähnliche Anatomie macht Schweine aus Sicht der Wissenschaftler ideal, um an ihnen die Versorgung von Schusswunden zu studieren. „Ähnliche“ Verletzungen, wie Tisherman es nennt, erleiden möglicherweise Opfer von Verkehrs- bzw. Arbeitsunfällen, doch was spricht eigentlich gegen folgendes Szenario?
Die Bergung verletzter Soldaten aus dem Kampfgebiet schwächt jede Armee: Für den Abtransport aus dem Schlachtfeld, aus dem Dschungel, aus den Bergen werden Soldaten benötigt, die fürs Kämpfen nicht zur Verfügung stehen.
Denkt man den Prozess von Rhee und Tisherman konsequent weiter, so könnte ein Sanitätstrupp verletzte Soldaten kurzfristig in den Kälteschlaf versetzen und erst später zur Bergung zurückkehren – sehr viel später, beispielsweise nach dem Ende des Kampfes. Diese Art der Ersten Hilfe wäre aus militärischer Sicht deutlich effektiver und sicherer.
Aber auch ohne militärischen Beigeschmack klingt die Therapie wie die Wanderung über den Grat zwischen Leben und Tod – pure Science-fiction eben, bei der einem, nomen est omen, das Blut in den Adern gefrieren kann.
Weihnachten 1966. Gebannt folgen die Kinogänger dem Geschehen auf der Leinwand. Im Film „Die phantastische Reise“ setzt sich ein Ost-Wissenschaftler in den Westen ab, wird während der Flucht vergiftet und droht, an einem Gerinnsel im Gehirn zu sterben. Doch zu Hilfe eilt die Wissenschaft. Dank einer nicht näher bezeichneten Technik werden Menschen und ein U-Boot auf Mikrobengröße miniaturisiert und in den Körper des Überläufers eingeschleust, wo sie das Blutgerinnsel auflösen. Der Film war damals eine Sensation.
Es ist soweit: Roboter in Blut und Tränen
Bleiben wir in der Filmsprache. Wenn zu Beginn des Blockbusters „Titanic“ die Forscher mit einem Mini-U-Boot zur Titanic absteigen, 4000 Meter unterm Meeresspiegel, dann erfüllt sie dort einen forensischen Auftrag.

Die Mikromuschel schwimmt – und das ist nicht selbstverständlich. In Flüssigkeiten wie Wasser käme sie mit symmetrischen Bewegungen nicht vorwärts, in Medien, deren Viskosität sich bei Bewegungen ändert, dagegen schon. In einer solchen haben die Stuttgarter Forscher sie getestet und sie dabei im Mikroskop beobachtet. © Tian Qiu/ MPI für Intelligente Systeme
Ähnlich geht es der noch jungen Errungenschaft der Forscher des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Dort hat man einen Mikro-Roboter entwickelt, der so winzig ist, dass er für forensische und therapeutische Zwecke eingesetzt werden kann – im menschlichen Körper.
Der Mikro-Roboter wird injiziert, er bewegt sich durch die Körperflüssigkeiten, er schwimmt (er taucht) im Blut und in den Tränen, und er kann so direkt zu Krisenzentren geschickt werden, dorthin, wo im Körper eine Krankheit oder eine Fehlfunktion stören.
Alternativer Antrieb
Die Miniaturisierung ist dramatisch. Der Roboter nimmt nur wenige hundert Mikrometer für sich in Anspruch. Damit bewegt er sich in einer Größenordnung, die sogar für die Gentherapie nutzbar macht, also auf der Ebene von Zellen!

Ein Beispiel aus der Industrie. Bei Helix Medical aus Weilheim produziert man u. a. Silikonschläuche mit einem Durchmesser von 0,2 Millimetern und weniger und Maßtoleranzen im Bereich von Hundertsteln Millimetern. Die Schläuche werden beispielsweise in Hörprothesen eingesetzt. Das in der Produktion verbrauchte Material, das sogenannte Schussgewicht, wiegt weniger als 1 Milligramm. © 2014 Freudenberg & Co. KG
Was vielleicht noch frappierender ist: Das U-Boot kann sich selbstständig fortbewegen! Dazu haben ihm die Forscher um Peer Fischer, dem Leiter der Arbeitsgruppe „Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme“ mit Unterstützung aus Israel und von der TU Dortmund die Form einer Muschel gegeben. Durch Öffnen und Schließen der beiden Muschelhälften bewegt sich der Roboter. Die Muschelschalen öffnen sich schneller, als sie sich schließen; aus diesem asynchronen Vorgang resultiert eine Bewegung:
„Dieses zeitlich asymmetrische Bewegungsmuster führt dazu, dass die Flüssigkeit während des Öffnens dünnflüssiger ist als beim anschließenden Schließen“ Doktorand Tian Qiu vom Stuttgarter Team
Die Bewegung ähnelt dabei dem ruckartigen Vorstoßen von Tintenfischen. Ein außen angelegtes Magnetfeld steuert Öffnen und Schließen der Muschelschalen und steuert so Fahrt.
Film-Trailer „Die phantastische Reise“
Kennen Sie Neil Harbisson? Noch nie gehört? Dann horchen Sie jetzt einmal genau hin. Neil Harbisson ist der einzige Mensch, der Farben hören kann. Er gibt Ihnen Antwort auf die Frage: „Wie klingt Lavendel?“
Es scheint verrückt, wirkt wie ein Aprilscherz, sieht aus wie ein mehr oder weniger gelungener Hoax: Harbisson, Jahrgang 1982, bildender Künstler und Komponist, trägt einen Chip in seinem Kopf, mit dessen Hilfe er Farben hören kann. Wegen des Chips ist er der erste von einer Regierung als Cyborg anerkannte Mensch. Ein Cyborg ist ein Maschinenmensch; der wohl bekannteste Cyborg ist der Terminator, der von Arnold Schwarzenegger im gleichnamigen Film verkörpert wurde.
Farben durch Noten wahrnehmen
Harbisson nun besteht nicht komplett aus einem Endoskelett wie die Killermaschine Terminator – Harbisson trägt in seinem Schädel einen Chip, der mit einem Farbsensor verbunden ist. Der Farbsensor sitzt am Ende eines flexiblen Röhrchens, das über seinen Schädel gekrümmt ist. Von dort aus nimmt der Sensor Farben in den Fokus und schickt sie an den Schädel-Chip. Im Chip wird das Farbspektrum analysiert und in hörbare Frequenzen umgewandelt. Harbisson weiß, wie Tomatenrot klingt.
Harbisson kam mit einer Achromatopsie auf die Welt; er sah die Umgebung ausschließlich in schwarz-weiß-grauen Tönen. 2004 wollte er seinen Pass erneuern lassen, die britischen Behörden lehnten das mitgelieferte Foto ab: Bilder mit technischen, elektronischen Geräten seien in Pässen nicht zugelassen.
Der junge Mann suchte und fand Unterstützung bei seinem Arzt und bei Mitgliedern der Universität, an der er studiert hatte. Sie alle schilderten in Briefen den Behörden den Fall: dass Harbisson an Achromatopsie leidet, dass er deshalb sogar seine Kunstwerke am Institut Alexander Satorres schwwarz-weiß habe anfertigen dürfen.
Schließlich lenkte die Behörde ein: Die Regierung akzeptierte das Eyeborg, und somit wurde aus Neil Harbisson der erste von einer Regierung anerkannte Cyborg.
Im Jahr 2010 gründete Harbisson eine Stiftung, die Cyborg Foundation. Hauptziel der Stiftung ist es, die Sinne und die persönlichen Kapazitäten des Körpers zu erweitern und (möglicherweise) zu verbessern.
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